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Lebensrechtler kritisieren Annahme des Matic-Berichts: „Dunkle Stunde Europas“

Ein fatales Signal gegen den Schutz des Lebens, ein historischer Anschlag auf die Menschenrechte, ein Skandal allerersten Ranges: Lebensrechtsverbände finden deutliche Worte der Kritik nach der Annahme des Matic-Berichts durch das EU-Parlament.
Predrag Fred Matic
Foto: EP | Der Geist der christlichen Gründerväter der Europäischen Union werde mit dem Matic-Bericht in das absolute Gegenteil verkehrt, beklagt die CDL.

Mehrere Lebensrechtsverbände kritisieren das EU-Parlament für die Annahme des umstrittenen Matic-Berichts, der Abtreibung zum Grundrecht erklärt und die Gewissensfreiheit von Ärzten in Frage stellt. 

Die Pressesprecherin der Christdemokraten für das Leben (CDL), Susanne Wenzel, nannte das Ergebnis in einer Stellungnahme ein „fatales Signal“ gegen den Schutz des Lebens und einen „Angriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung der EU“. Der Geist der christlichen Gründerväter der Europäischen Union werde in das absolute Gegenteil verkehrt. Zugleich warnte sie, bei vielen Unionsbürgern könne das Abstimmungsergebnis zu einer „weiteren inneren Abkehr von Europa“ führen.

Töten zum Recht erklärt

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Die CDL sprach darüber hinaus von einer „dunklen Stunde Europas“, in der das Töten zum Recht erklärt und das uneingeschränkte Recht auf Leben faktisch abgeschafft worden sei. Auch die Umkehrung des Rechts auf die Gewissensfreiheit, das sowohl im deutschen Grundgesetz  als auch im Schwangerschaftskonfliktgesetz (§ 12) verankert sei, in einen Straftatbestand der „Unterlassung einer medizinischen Behandlung“ widerspreche dem viel beschworenen europäischen Geist.

Die Vorsitzende des Bundesverbandes Lebensrecht (BvL), Alexandra Linder, wies indes auf Anfrage dieser Zeitung darauf hin, dass die „große Mehrheit“ für den Matic-Bericht gar nicht so groß gewesen sei. Nur 62 Stimmen hätten gefehlt, um die weitere Aushöhlung der Menschenwürde einzudämmen, so Linder. „Nur 62 Abgeordnete hätten sich für Menschenrechte statt für Tötungsrechte und Rechtseinschränkungen entscheiden müssen.“

BvL: Kein Dammbruch

Von einem Dammbruch könne insofern nicht die Rede sein, erklärt Linder weiter, „als der Inhalt des Papiers lediglich den Ideologien folgt, die sich bereits in vielen Staaten durchgesetzt haben, zum Beispiel in den Niederlanden, Belgien, Großbritannien oder Schweden“. Umso mehr sollten Politiker, die sich als Christen oder Humanisten bezeichnen, sich mit der Realität und den Konsequenzen befassen. „Politiker, die sich inhumanen Ideologien beugen oder anschließen, die für ein Papier stimmen, das die Tötung von Menschen legal und sicher anbieten will, das die Gewissensfreiheit und die Meinungsfreiheit einschränken oder abschaffen will, sollten ihr Gewissen prüfen.“ 

Das Salzburger Ärzteforum sprach von einem wohl historisch zu nennenden „Anschlag auf die Menschenrechte und auch auf das ethische Selbstverständnis der Ärzteschaft“. Gerade unter Verweis auf die Menschenrechte werde im Bericht des Sozialisten Predrag Fred Matic durch Zuhilfenahme einer manipulativen Terminologie und Verwendung unzutreffender Begrifflichkeiten der Zugang von Frauen zu einer Abtreibung als ein „gesetzlich zustehendes Recht auf eine medizinische Versorgung“ proklamiert.

Bemerkenswert sei, dass der Entschließungsantrag inhaltlich selbst mehrfach gegen tatsächliche Rechte, wie etwa das Grundrecht auf Leben, auf Gewissensfreiheit und auf Religionsfreiheit, und auch gegen das Toleranzgebot gegenüber Andersdenkenden, verstoße. Ebenso bemerkenswert sei die Tatsache, dass die Grenzen der Zuständigkeit des EU-Parlaments offensichtlich bewusst überschritten worden seien, „da Themen wie Gesundheit, Sexualerziehung, Reproduktion und Abtreibung der souveränen Legislativbefugnis der einzelnen Mitgliedstaaten unterliegen“.

Darauf machte auch die CDL aufmerksam: Die Gesetzgebung zur Abtreibung liege nach wie vor in den Händen der Abgeordneten der Länderparlamente. Den Bundestag forderte der Lebensrechtsverband daher auf, den „Eingriff in die Souveränität seiner Gesetzgebungsbefugnis“ zurückzuweisen und so seiner Verpflichtung zum Schutz des Lebens nachzukommen. Auch die in der Verfassung und dem Schwangerschaftskonfliktgesetz verankerte Gewissensfreiheit des medizinischen Personals müsse der Bundestag verteidigen.

ALfA spricht von Schande für Europa

Auch die überparteiliche Lebensschutzorganisation „Aktion Lebensrecht für Alle“ (ALfA) stimmte in den Tenor der Kritik ein. Deren Bundesvorsitzende Cornelia Kaminski bezeichnete die Annahme des Matic-Berichts als einen „Skandal allerersten Ranges“ und als einen „brutalen Anschlag“ auf das Recht eines jeden Menschen auf Leben. Wörtlich heißt es in der Stellungnahme der ALfA: „Das ist eine Schande für Europa, welche die Pioniere und Gründungsväter der Europäischen Union eigentlich in ihren Gräbern rotieren lassen müsste.“

Die Tötung eines unschuldigen und wehrlosen Menschen, so Kaminski, könne niemals ein Recht und schon gar kein Grundrecht sein. Dass Ärzte sich nicht länger weigern können sollen, an vorgeburtlichen Kindstötungen mitzuwirken, sei ein „hinterhältiger Anschlag auf die Gewissensfreiheit“. Gleiches gelte für die „kaum verhüllte Forderung“, die EU-Mitgliedstaaten sollten die Meinungsfreiheit jener beschneiden, die ein Menschenrecht auf Abtreibung ablehnen.

Positiv bewertete Kaminski die Stimmen des Protests, die sich im Vorfeld der Abstimmung aufgetan hatten: „Die riesige Welle des Protestes in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zeigt überdeutlich, dass nicht nur Lebensrechtler den Matić-Bericht für skandalös erachten.“

Großer Rückschlag für Menschenrechte

Paul Cullen, Vorsitzender der Ärzte für das Leben, erklärte in einer Stellungnahme, die Annahme des Matic-Berichts sei ein „großer Rückschlag für die Menschenrechte, das Lebensrecht und die ärztliche Gewissensfreiheit in Europa“. Insbesondere die Tatsache, dass das in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Recht von Ärztinnen und Ärzte, aus Gewissensgründen eine Mitwirkung an Abtreibungen abzulehnen, mit dem Matic-Bericht beschnitten werde, müsse alle Ärztinnen und Ärzte in Europa alarmieren. „Denn ist die Gewissensfreiheit in einem Bereich des ärztlichen Tuns angetastet, so ist sie in allen anderen Gebieten der Medizin kaum aufrecht zu erhalten.“

Die Tötung eines wehrlosen Menschen könne nie ein Recht sein, „und ist eigentlich das Gegenteil von einem Menschenrecht, denn sie bedeutet immer, einen anderen mutwillig aus der Menschheitsfamilie auszuschließen“, so Cullen weiter. Eine solche sprachliche Konstruktion sei nur möglich, wenn man in der komplexen Situation der Schwangerschaft das elementarste Menschenrecht eines der Beteiligten, nämlich das Recht überhaupt zu existieren, vollkommen ausblende.

Auch der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, der Salzburger Erzbischof Franz Lackner, stimmte in die Kritik ein. Gegenüber der Nachrichtenagentur "kathpress" nannte er es "höchst bedauerlich", wenn europäische Institutionen einen Weg gingen, "von dem wir überzeugt sind, dass er falsch ist". Menschliche Gesundheit sei ein hoher Wert und auch ein Kernanliegen der Kirche. Abtreibung als Gesundheitsmaßnahme und als Menschenrecht einzustufen entwürdige jedoch das ungeborene Kind und sei "ethisch unhaltbar".

Kein internationaler Vertrag oder Menschenrechtsvertrag kenne ein "Recht auf Abtreibung" und sehe eine damit einhergehende Verpflichtung der Mitgliedsstaaten vor, so Lackner. Der Matic-Bericht ignoriere die schwierige Situation schwangerer Frauen in Not oder Konfliktsituationen und klammere das Lebensrecht ungeborener Kinder aus.  DT/mlu

Lesen Sie eine ausführliche Analyse zur europäischen Abtreibungsdebatte und ihren Folgen in der kommenden Ausgabe der „Tagespost“.

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