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Debatte über Transsexuellengesetz: Frau oder Mann? „Ich bin nach der OP aufgewacht und dachte: Das war ein Fehler“
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July 9, 2022, Madrid, Spain: A couple wrapped with LGTBI flags cross a street prior to the start of the gay pride march
IMAGO/ZUMA Wire Das Transsexuellengesetz soll abgeschafft werden.
  • FOCUS-online-Redakteurin

Die Bundesregierung will das Transsexuellengesetz abschaffen. Trans-Menschen können ihren amtlichen Geschlechtseintrag dann mit deutlich weniger Aufwand als bisher ändern. Für Aktivisten ein großer Erfolg. Doch es gibt auch kritische Stimmen.

Jeder Mensch in Deutschland soll sein Geschlecht und seinen Vornamen künftig selbst festlegen und in einem einfachen Verfahren beim Standesamt ändern können. Das sieht das Konzept für ein neues Selbstbestimmungsgesetz vor. Es soll das Transsexuellengesetz ersetzen, das von vielen Menschen als unzeitgemäß und diskriminierend empfunden wird.

Wenn die Neuregelung so wie geplant umgesetzt wird, ist bei der Frage des Geschlechtseintrags und der Vornamen künftig unerheblich, ob es sich um einen transgeschlechtlichen, nicht-binären oder intergeschlechtlichen Menschen handelt. Gutachten zur sexuellen Identität oder ein ärztliches Attest sollen als Voraussetzung für eine solche Änderung nicht mehr verlangt werden.

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Trans-Aktivistin ist erfreut: „Ein großer und wichtiger Schritt“

Es ist ein Vorstoß, der bei Trans-Aktivisten für Jubel sorgt. Die 18-jährige Emma Kohler, die gerade ihr Abitur bestanden hat, sagt im Gespräch mit FOCUS Online: „Ich finde das einen großen und wichtigen Schritt, auch wenn manche Details verbessert werden könnten.“

Konkret meint sie die Regeln für 14- bis 18-Jährige. Denn Jugendliche ab 14 Jahren sollen den Antrag auf Umbenennung zwar selbst ausfüllen dürfen, benötigen aber die Zustimmung der Sorgeberechtigten. „Ich finde nicht, dass sie das Go ihrer Eltern brauchen sollten“, sagt Kohler.

Die 18-Jährige spricht von sich selbst als „trans“, mit 15 Jahren outete sie sich. In ihrem Ausweis taucht sie noch als Mann auf. Weil sie sich die Eintragsänderung bisher nicht leisten konnte, sagt sie.

„Die zwei psychologischen Gutachten, die man dafür braucht, kosten knapp 1700 Euro - und die müsste ich selbst zahlen, das übernimmt die Krankenkasse nicht.“ Außerdem will Kohler keine „entwürdigenden“ Fragen beantworten. „Im Rahmen dieser Gutachten müssen Trans-Personen zum Beispiel über ihr Masturbationsverhalten reden.“

Viele Trans-Menschen sehen das genauso wie die 18-Jährige. Und nicht nur sie: Auch Familienministerin Lisa Paus (Grüne) bezeichnete den Prozess als „zutiefst demütigend“ und „überflüssig“, als sie mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) vor knapp zwei Wochen die geplante Abschaffung des Transsexuellengesetzes verkündete.

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“Das Gesetz bleibt nicht folgenlos für die medizinische Behandlungspraxis"

Zwar geht es beim Vorhaben der Ampel-Parteien nur um die Umtragung des Geschlechtseintrags in Ausweisdokumenten, also nicht um geschlechtsangleichende Operationen oder Hormontherapien. Hier bleiben alle Regeln gleich, erklärten die beiden Politiker auf der Pressekonferenz.

Es gibt aber kritische Stimmen, die fürchten, das Selbstbestimmungsgesetz öffne Tür und Tor für mehr medizinische Eingriffe. So zum Beispiel der Münchner Kinder- und Jugendpsychiater Alexander Korte. In einem Interview mit der „taz“ sagte er: „Das Gesetz kommt und bleibt nicht folgenlos für die medizinische Behandlungspraxis.“

Korte glaubt, dass Jugendliche, deren Geschlechtseintrag geändert wurde, sich bestätigt darin fühlen, im falschen Körper zu leben. Und Gefahr laufen, den transsexuellen Weg als einzige Option für sich anzusehen. Mit seiner Meinung ist der Psychiater nicht allein.

Auch die 29-jährige Sabeth Blank ist skeptisch, was die geplante Abschaffung des Transsexuellengesetzes angeht. „Wenn schon der Geschlechtseintrag geändert wurde, dann könnte ich mir vorstellen, dass medizinische Änderungen am eigenen Körper einfacher möglich sind“, sagt sie zu FOCUS Online.

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„Ich bin von der OP aufgewacht und dachte: Du hast einen großen Fehler gemacht“

Blank weiß sehr gut, wie es ist, mit der eigenen sexuellen Identität zu hadern. Sie wuchs im konservativen Bayern auf, hatte schon als Kind kurze Haare und trug gerne Männerklamotten. „Damals fingen meine Mitmenschen an, mich zu diskriminieren. Für viele war es unnormal, als Frau so auszusehen.“ Irgendwann wurde es das für Blank auch.

Sie verließ Bayern, kam nach Berlin und lernte einen Trans-Mann kennen, dem es ähnlich ging wie ihr. „Ich dachte: Vielleicht bin ich ja auch trans?“ Damals war Blank 19 Jahre alt. In einer Selbsthilfegruppe fand sie Vorbilder und begann, Testosteron zu nehmen. Irgendwann ließ sie auch ihren Personenstand im Ausweis anpassen.

Sabeth Blank.
privat Sabeth Blank.

In der Selbsthilfegruppe, so erzählt es die 29-Jährige, waren Mastektomien, also Brust-Amputationen, immer wieder ein Thema. „Es kam der Zeitpunkt, da wollte ich das auch“, sagt Blank. Sie vereinbarte Vorgespräche mit verschiedenen Ärzten, war überzeugt, ihre Entscheidung sei richtig. An Silvester 2016 wurde Blank operiert, da war sie 23 Jahre alt.

Blank spricht von all diesen Dingen so, als wären sie erst gestern passiert. Vielleicht auch, weil die Ereignisse so einschneidend waren. Ganz besonders der Moment, in dem sie aus der Narkose erwachte. „Ich dachte mir nur: Du hast gerade einen großen Fehler gemacht.“

Blank entwickelte Schmerzen in der linken Körperhälfte, bei den Menschen in der Selbsthilfegruppe fand sie kein Gehör. Immer mehr bereute sie die Mastektomie, aber auch die Hormontherapie. Ihren eigenen Körper so zu verändern, fühlte sich für sie falsch an. So falsch, dass Blank schließlich aufhörte, Testosteron zu nehmen. Heute steht in ihrem Ausweis wieder ihr weiblicher Name.

Blank warnt: „Frauen, die nicht dem klassischen Bild entsprechen, könnten in dieselbe Falle tappen“

Wie viele Menschen durchschnittlich von einer Geschlechtsumwandlung zurücktreten, ist unklar. Auch Sven Lehmann, der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, kann keine genaue Aussage treffen. Er spricht in einem Gastbeitrag für „ Zeit Online “ von knapp einem Prozent, beruft sich dabei aber lediglich auf Berichte aus der „Community“.

Fast genauso schwer lässt sich beziffern, wie viele Trans-Menschen eigentlich in Deutschland leben. Klar ist aber, dass im Jahr 2020 knapp 2700 Personen ihren Personenstand ändern ließen und sich laut Statistischem Bundesamt 2155 Menschen einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen.

Doch selbst wenn Blank als „Regretterin“ nur eine von wenigen ist: Sie warnt vor zu leichtfertigen Veränderungen des eigenen Körpers. „Ich glaube, Frauen, die nicht dem klassischen Frauenbild entsprechen, können leicht in dieselbe Falle tappen wie ich.“ Die „Falle“: Das bedeutet, zu glauben, man stecke im falschen Körper, obwohl die eigentliche Farce im gesellschaftlichen Anpassungsdruck liegt.

Und Blank macht noch einen wichtigen Punkt: „Einer vermeintlichen Transsexualität könnten auch andere psychische Probleme zugrunde liegen.“ Allerdings, so sagt es die 29-Jährige, könne sie nur über Transitions-Motive von Frauen, nicht aber von Männern sprechen. Und keine Aussage über Frauen treffen, bei denen sich eine Geschlechtsangleichung als richtiger Weg herausstellt.

„Es ist alles andere als cool, trans zu sein“

Jugendpsychiater Korte sagte der „taz“, in bestimmten Szenen sei es „hip“, trans zu sein. „Davon fühlen sich in allererster Linie weibliche Jugendliche angesprochen, die einen sexualitätsbezogenen inneren Konflikt haben oder unter den gesellschaftlichen Rollenklischees oder Schönheitsidealen leiden – oder solche, die sexuell traumatisiert sind.“

Und in einer Stellungnahme, die er als Sachverständiger für den Bundestag anfertigte, schrieb er: „Wir wissen aus Katamnesestudien, dass sich die Selbstdiagnose „trans“ im Entwicklungsverlauf nicht weniger Kinder und Jugendlicher nachträglich als subjektive Fehleinschätzung herausstellt.“

Aussagen, für die Korte nun selbst in der Kritik steht. Viele Trans-Menschen empfinden seine Ansichten als verletzend. So auch Aktivistin Kohler. Für sie ist es vermessen, im „Transsein“ eine Art Trend zu vermuten.

„Es ist alles andere als cool, trans zu sein. Man ist ständiger Diskriminierung ausgesetzt, und geschlechtsangleichende Eingriffe sind oft mit enormen Schmerzen verbunden. Wer würde sich so etwas freiwillig antun?“, meint sie. Kohler startete schon lange vor den Ampel-Plänen eine  Petition zur Abschaffung des Transsexuellengesetzes. Für mehr Selbstbestimmung, wie sie es erklärt.

„Man sollte sich fragen: Will ich ein Mann sein - oder nur keine Frau?“

Am Ende bleibt das Thema Transsexualität höchst umstritten, gerade bei Jugendlichen. Ebnet die Personenstandsänderung im Ausweis wirklich den Weg hin zu mehr medizinischen Eingriffen und Hormontherapien? Oder bietet sie Trans-Menschen endlich die Chance, ihre Identität auszuleben?  Und ab wann ist sich eine Person ihrer sexuellen Identität sicher?

Auch der Deutsche Ethikrat ist bei diesen Fragen hin- und hergerissen. Die „Entpathologisierung von Trans-Identität“ begrüßte ein Mitglied zwar schon 2020 als gesellschaftlichen Fortschritt. Bei Kindern sei die Lage aber sehr komplex, „insbesondere dann, wenn es um medizinisch eingreifende Maßnahmen mit Nebenwirkungen für das Kind oder gar irreversiblen Folgen geht“.

Justizminister Buschmann betonte auf der Pressekonferenz vor zwei Wochen, seines Wissens nach würden medizinische Geschlechtsanpassungen ohnehin erst ab dem 18. Lebensjahr durchgeführt. Pubertätsblocker können Jugendpsychiater in Einzelfällen aber schon deutlich eher verschreiben.

Sabeth Blank lebt inzwischen in Köln und macht ihren Master in Elektrotechnik. Wenn sie auf ihre ganz persönliche Trans-Geschichte zurückschaut, hat sie eines gelernt: „Man sollte sich immer fragen: Will ich wirklich ein Mann sein? Oder einfach nur keine Frau?“

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